Explorationsphase 2019-2021

Zusammenfassung der Ergebnisse der Explorationsphase

  1. Problemaufriss

Im Rahmen einer sog „Explorationsphase“ als Projektvorbereitung stellten sich die Projektleiter die Aufgabe, einen ersten Problemaufriss durch Fachgespräche mit einschlägigen Expert*innen aus Wissenschaft aus Praxis zu generieren. Diesem Ziel dienten drei Workshops in der Zeit von 2019-2021, die jeweils im Frühjahr am Gut Pössnitzberg in der Südsteiermark stattfanden. Die dort geführten Diskussionen verfolgten den Zweck, die für die wissenschaftliche Erfassung des Realphänomens der Familienunternehmen besonders bedeutsamen Rechtsprobleme der Praxis zu identifizieren, um diese in weiterer Folge anhand der geltenden Rechtslage zu lösen und unbefriedigenden Ergebnissen mit Reformvorschlägen de lege ferenda Abhilfe zu schaffen. Zur Sicherstellung der Interdisziplinarität des Forschungsvorhabens deckten die jährlichen Themenschwerpunkte das gesamte Privatrecht sowie angrenzende Rechtsmaterien (zB das Steuerrecht) ab.

  1. Rechts- und Praxisprobleme im Stiftungsrecht

Im Juni 2019 stand der erste Workshop im Zeichen des Stiftungsrechts. Bereits zu Beginn des Workshops brachten alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer einhellig ihre Meinung zum Ausdruck, dass dieses Rechtsgebiet dringend reformbedürftig sei. Zentrale Regelungsbereiche, die einer Überarbeitung bedürfen, seien die Schwierigkeiten der Beteiligung von Familienangehörigen an der Entscheidungsbildung (zB im Vorstand), die Notwendigkeit der Bestellung dreier Stiftungsvorstände und deren enormes Haftungsrisiko (zB in Bezug auf die dreißigjährige Verjährungsfrist von Ersatzansprüchen), das in einem Missverhältnis zum Erfordernis der raschen Fällung unternehmerischer Entscheidungen stehe. Auch die Möglichkeiten des Ausstieges aus der Privatstiftung seien nicht nur aus genuin privatstiftungsrechtlicher, sondern auch aus steuerrechtlicher Sicht zu reformieren. In Hinblick auf die familiäre Vermögensnachfolge wurde das Problem identifiziert, dass die Möglichkeiten zur Änderung der Stiftungsurkunde nach dem Ableben des Stifters nur unzureichend seien, weshalb Vorstände oftmals mit dem Problem konfrontiert sind, einen überkommenen Stiftungszweck verfolgen zu müssen, widrigenfalls sie sich in ein erhebliches Haftungsrisiko begeben. Freilich sind dabei auch die Interessen anderer Stakeholder, insbesondere der Begünstigten, zu berücksichtigen.

  1. Rechts- und Praxisprobleme im Erbrecht, Gesellschaftsrecht und Kapitalmarktrecht

Das Expertengespräch 2020 widmete sich dem Erbrecht, Gesellschaftsrecht und Kapitalmarktrecht. Rasch wurden die allgemeinen Herausforderungen des Erbrechts identifiziert, die der Kontinuität und Bestandsicherung von Familienunternehmen abträglich sein können: Nicht alle Nachkommen können oder wollen im Familienunternehmen mitwirken, doch haben auch diese Personen ein Erbrecht oder Pflichtteilsansprüche. Besonderes Augenmerk ist daher auf die erbrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten und Gestaltungsgrenzen zu richten. Als besonderes Praxisproblem stellten sich Liquiditätsmängel im Unternehmen heraus, die dadurch auftreten können, dass plötzlich mehrere Pflichtteilsansprüche zu bedienen sind. Daran ändere auch die mit dem ErbRÄG 2015 eingeführte Stundungsmöglichkeit nur wenig. Ausländische Rechtsordnungen, wie etwa das Projekt einer Erbrehtsrevision in der Schweiz, lassen ein größeres Problembewusstsein erkennen. Des Weiteren zeigten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf, dass eine genaue Untersuchung des Rechtsinstituts der Testamentsvollstreckung notwendig sei, weil dieses in manchen Staaten – etwa in Deutschland und der Schweiz – sehr häufig eingesetzt werde, um den Erblasserwillen durchzusetzen. Dieses Rechtsinstitut ist jedoch in Österreich nur sehr rudimentär geregelt und bedarf eine Reformierung.Dass es wenig eingesetzt wird, hängt nicht mit dem fehlenden Bedarf, sondern mit der unzureichenden Rechtslage zusammen.

In der Diskussion stellte sich noch weitere Themen heraus, die für das Forschungsprojekt als maßgeblich erachtet wurden: die Bedeutung des Verlassenschaftsverfahrens für eine rasche Unternehmensnachfolge, die Sinnhaftigkeit von Familienverfassungen zur Vereinbarung eines gemeinsamen Wertekataloges und die Schiedsfähigkeit erbrechtlicher Streitigkeiten.

Zu den gesellschaftsrechtlichen Themen des Expertengesprächs 2020 zählten die laut dem aktuellen Regierungsprogramm angedachten Novellierungen des Gesellschaftsrechts, die in absehbarer Zeit gebotene Umsetzung der EU-Digitalisierungs-RL und der EU-Mobilitäts-RL sowie die Frage nach den Familienunternehmen offenstehenden Formen der Beteiligung am Kapitalmarkt. Zentrale Diskussionsthemen waren insbesondere die Einführung von Mehrstimmrechtsaktien, eines Tatbestands für den gutgläubigen Erwerb von Gesellschaftsanteilen, einer allgemeinen Liberalisierung des Rechts nicht-börsenotierter AG und der Möglichkeiten nach einer Rückgängigmachung der Vermögensübertragung an eine Stiftung, wenn übersehen wurde, dem Stifter Widerrufs- und Änderungsrechte vorzubehalten. In der folgenden Forschungsphase werden freilich auch laufend die Ergebnisse der aktuellen Reformvorhaben im Gesellschaftsrecht, insbesondere die Einführung neuer Rechtsformen, zu berücksichtigen sein.

Konsens herrschte bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmerinnen dahingehend, dass § 617 ZPO dringend reformbedürftig sei, um die Schiedsfähigkeit von Gesellschaftsstreitigkeiten nicht völlig zu vereiteln.

  1. Rechts- und Praxisprobleme im Familien-, Arbeits- und Steuerrecht

Familienrecht, Steuerrecht und Arbeitsrecht standen im Zentrum des dritten und letzten Workshops der Explorationsphase im Juni 2021.

Auf dem Gebiet des Familienrechts standen vor allem praktische Probleme der Unterhaltsgewährung und der nachehelichen Vermögensaufteilung im Fokus der Diskussion. Einig waren sich hier die Expert*innen, dass das Verschuldensprinzip, das in Österreich als eines der wenigen EU-Länder noch gilt, weitgehend abzuschaffen sei. Das geltende System stellt derzeit nicht primär auf die Bedarfslage des Unterhaltsberechtigten ab, vielmehr ist die Beweislage für die Feststellung des (überwiegenden) Verschuldens tragende rechtliche Grundlage und daher mit einem hohen Risiko an Rechtsunsicherheit in der Scheidungssituation behaftet. Stattdessen sollte der Anspruch auf nachehelichen Unterhalt einerseits an einen allfälligen Bedarf des anderen Ehegatten anknüpfen, andererseits sei aber auch die Eigenverantwortung der Ehegatten in den Fokus einer notwendigen Reformierung zu stellen. So besteht für beide Ehegatten eine bessere Planbarkeit ihrer Lebenssituation nach einer Trennung. Mit Abschaffung des Verschuldensprinzips muss daher jedenfalls eine Gesamtreform des Ehegattenunterhaltsrechts einhergehen. Als Vorbild für ein neues Ehegattenunterhaltsrecht könnte etwa – mit einzelnen Adaptierungen – § 1569 BGB dienen.

In der Diskussion zeigte sich auch, dass im Aufteilungsrecht durch „rechtsfortbildendes Richterrecht“ – zuweilen contra legem – noch einige Schutzlücken bestehen, die durch Schaffung einer expliziten gesetzlichen Grundlage geschlossen werden sollten. Bei der Qualifikation der Unternehmensanteile in der nachehelichen Vermögensauseinandersetzung sei etwa zu klären, ob diese eine bloße Wertanlage bildet und damit aufteilungspflichtig ist oder ein Unternehmensanteil ieS vorliegt, der von der Aufteilung ausgenommen ist. Die Existenz von Syndikatsverträgen könnte gegen die Einstufung als bloße Wertanlage sprechen. Es komme maßgeblich auf die Einflussmöglichkeiten und weniger auf die Wertbeteiligung an. Als allgemein erforschungsbedürftig wurden hier überdies die Grenzen der vertraglichen Gestaltungsfreiheit – etwa in Hinblick auf Unterhaltsvereinbarungen, Erb- und Pflichtteilsverzichte, Vorausvereinbarungen etc – angesehen.

Bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern stießen die Impulsvorträge zu den Vor- und Nachteilen des österreichischen Steuerrechts für Familienunternehmen auf besonderes Interesse. Zu den Vorteilen der heimischen Steuerlandschaft zählt nach Ansicht der Expertinnen und Experten seine Überschaubarkeit, das Fehlen von Gewerbe- und Substanzsteuern sowie die Verlässlichkeit der elektronischen Abwicklung der finanzbehördlichen Vorgänge. Als nachteilig wurden die hohe steuerliche Belastung des Arbeitseinkommens und die Stiftungseingangssteuer angesehen, die etwa dazu führt, dass die Übertragung auf liechtensteinische Stiftungen attraktiver sein kann.

Die arbeitsrechtliche Diskussion fokussierte sich zunächst auf das Realphänomen der Mitwirkung von Familienangehörigen im Familienunternehmen. Die rechtliche Einordnung dieser Mitwirkung sei sehr stark einzelfallbezogen und daher rechtsunsicher. Ein Familienverhältnis könne im Betrieb auch kollektivarbeitsrechtliche Folgen haben, zB hinsichtlich des Entfalls des passiven Betriebsratswahlrechts bei einem Verwandtschaftsverhältnis zum Betriebsinhaber. Als arbeitsrechtlich problematisch wurde auch die Konstellation beschrieben, in der ein Betrieb von einem Nachfolger geleitet wird, aber der „Altchef“ sich weiterhin in das operative Geschäft einmischt, weil dann oftmals fraglich sein kann, ob dieser Vorgang einen Betriebsübergang darstellt oder nicht. Bejaht man einen Betriebsübergang, sei auf nachgelagerter Ebene zu bedenken, dass die Kollektivvertragszugehörigkeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wechseln könne.

Eine zentrale Fragestellung des gesamten Projekts wurde von den Expertinnen und Experten in den rechtlichen Dimensionen der Mitarbeiterbeteiligung erblickt. Aus arbeitsrechtlicher Sicht sei die Erstattung von gesellschaftsrechtlichen Reformvorschlägen kaum problematisch, weil die Mitarbeiterbeteiligung nur bei den §§ 96, 97 ArbVG in Bezug auf Betriebsvereinbarungen von Bedeutung sei. Sehr wohl von Relevanz sei aber die Auslotung der Sittenwidrigkeitsgrenze, weil eine gänzliche Überwälzung des unternehmerischen Risikos auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unzulässig sei.

Im Ergebnis lässt sich konstatieren, dass die Workshops zur Explorationsphase wesentlich zur Konturierung und Konkretisierung des Forschungsvorhabens „Kontinuität und Bestandsicherung von Familienunternehmen“ beitragen konnten. Mithilfe der Gespräche mit den Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis konnten konkrete Rechtsprobleme identifiziert werden, deren Lösung de lege lata und de lege ferenda in der eigentlichen Forschungsphase einen wesentlichen Beitrag zur Stärkung des Wirtschaftsstandortes Österreich und den die heimische Wirtschaft dominierenden Familienunternehmen leisten wird.

Bisherige Publikationen